Ziel der vorliegenden Unterrichtsmaterialien ist es, Schüler*innen eine intensive Auseinandersetzung mit Nachrichtenformaten und deren Inhalten zu ermöglichen, unter Berücksichtigung einer kritischen Grundhaltung gegenüber medialer Wirklichkeitsvermittlung. Dabei werden vor allem Aspekte der Inhaltsanalyse und das Verstehen von Funktions- und Arbeitsweisen einer Nachrichtenproduktion berücksichtigt. Nicht zuletzt kann dieses Verständnis durch die eigenständige Gestaltung eines Nachrichtenformats praktisch erfahrbar und nachvollziehbar gemacht werden.
Die Berichterstattung der Medien über das Zeitgeschehen sowie über die Hintergründe z.B. politischer oder wirtschaftlicher Entwicklungen ist eine der Grundvoraussetzungen für das Funktionieren unserer Demokratie. Die Meinungsfreiheit und die Informationsfreiheit sind ein wichtiger Bestandteil der Grundrechte unserer Verfassung. Aufgrund der Erfahrungen zur Zeit des Nationalsozialismus, als die Medien mit den Herrschenden gleichgeschaltet waren und so unter totaler Kontrolle der Nationalsozialisten standen, sollen in der Bundesrepublik die Medien möglichst staatsfern organisiert werden. Die Vielfalt von Meinungen wird ausdrücklich gewünscht.
Die aktuellen Ereignisse des Tages erfahren wir aus den Nachrichten. Sie geben meist in sehr neutraler Form einen Überblick über das, was wir als Zuschauer wissen sollten, zumindest nach der Auffassung der Redaktion, welche die Nachrichten zusammengestellt hat. Gerade weil die Nachrichten in einer sehr nüchternen und scheinbar objektiven Weise präsentiert werden, ist es zu ihrem Verständnis und ihrer Einordnung für Kinder und Jugendliche wichtig, einen Einblick in die Produktionsbedingungen zu erhalten. Dazu gehört vor allem eine kritische Reflexion der Nachrichtenbeschaffung und der Glaubwürdigkeit von Quellen.
Ein weiterer wichtiger Bereich ist die Frage der Selektion vorhandener Meldungen durch die Redaktion, die damit entscheidet, was aus ihrer Sicht für den Zuschauer von Bedeutung ist und was nicht. Dazu gehört sowohl die Reihenfolge der Meldungen, da die Zuschauer gewohnt sind, dass die „Top-Meldungen“ am Anfang einer Nachrichtensendungen stehen, als auch die Mischung, aus denen eine Nachrichtensendung besteht. Von Bedeutung ist dabei der Anteil gesellschaftlich und politisch relevanter Fakten auf der einen und der eher emotionalen Geschichten auf der anderen Seite, z.B. Berichte über den Nachwuchs in Königshäusern oder Heirats- bzw. Scheidungsabsichten von Stars aus den Bereichen Musik, Film oder Sport.
Auch die Aufbereitung der Nachrichten kann sehr unterschiedlich sein: Sie können einerseits ganz abstrakt Daten, Zahlen oder Namen vermitteln, wenn es beispielsweise um die Berichterstattung zu einem Erdbeben geht. Zum anderen können sie aber auch die Katastrophe aus der Perspektive einer betroffenen Person darstellen, die erzählt, wie sie das Erdbeben erlebt, überlebt und verarbeitet hat. Hinter diesen beiden Arten der Nachrichtenkonstruktion stecken unterschiedliche Absichten: Die nüchtern vorgetragenen Informationen überlassen es den Zuschauer*innen, wie sie Nachrichten zur Konstruktion des eigenen Weltbildes nutzen; die Berichte aus der Perspektive der Opfer hingegen vermitteln den Zuschauer*innen ein besseres Einfühlungsvermögen in die Lage der Betroffenen. Gerade wenn es darum geht, z.B. Hilfen oder Spenden zu generieren, ist diese Form der Berichterstattung erheblich effektiver.
Nachrichten gibt es in allen Medien, allerdings ist ihre Funktion und Aufbereitung sehr verschieden. Die Printmedien schaffen es beispielsweise immer weniger, mit der Aktualität der elektronischen Medien – Radio, Fernsehen und Internet – mitzuhalten. Tageszeitungen und noch viel mehr Wochen- oder Monatszeitschriften haben daher eher die Aufgabe, jenseits der Aktualität Hintergründe und Zusammenhänge zu erläutern. Im Radio finden Nachrichten in der Regel zu jeder Stunde statt, die wichtigsten Weltereignisse werden allerdings auf meist nur fünf Minuten komprimiert. Die Nachrichtensendungen des Fernsehens, allen voran die „Tagesschau“, die „Tagesthemen“, „heute“, das „heute-journal“ sowie „RTL aktuell“ sind wohl für die meisten Menschen die wichtigsten Informationsquellen in Bezug auf aktuelle Ereignisse. Online entstehen ergänzende Formen zur klassischen Nachrichtenberichterstattung sowie neue Formate, ergänzt durch zahlreiche Apps für mobile Endgeräte, die mit einem veränderten Rezeptionsverhalten einhergehen und dadurch eher von einer jüngeren Zielgruppe genutzt werden. Die Nachrichten werden entsprechend der jeweiligen Dienste aufbereitet, mit Social-Media-Angeboten verknüpft, in kurzen Zeitabständen aktualisiert und von den Rezipient*innen für den schnellen Überblick zwischendurch gecheckt.[1]
Die Relevanz von Nachrichtensendungen und Berichterstattung ist sowohl in Hinblick auf die verschiedenen Informationen als auch bezüglich der Bedürfnisse der Rezipient*innen sehr unterschiedlich. Ein großer Teil der vermittelten Informationen dient vor allem der Orientierung in der Welt, also der Kenntnis, welche besonderen Ereignisse es in unterschiedlichen Teilen der Welt gibt. Ob ein Tornado in Oklahoma, ein Erdbeben am Hindukusch oder ein Tsunami in Japan: Katastrophen irgendwo in der Welt haben selten einen persönlichen Bezug zur Lebenswirklichkeit der Zuschauer*innen. Bei Nachrichten aus Politik und Wirtschaft kann dies schon anders sein. Wann Wahlen stattfinden und wer mit welchem Programm antritt, erfahren wir fast ausschließlich aus den Medien. Das gleiche gilt für Versäumnisse, Fehltritte und Skandale von Parteien oder Politiker*innen. Aber auch von zahlreichen Neuerungen, die für unser konkretes Leben relevant sind, hören wir im Wesentlichen aus den Medien. Ein neues Punktesystem in Flensburg, Änderungen der Promillegrenze im Straßenverkehr oder Innovationen im Steuersystem werden über die Massenmedien vermittelt. Ein so komplexes demokratisches Gesellschaftssystem wie das der Bundesrepublik Deutschland und anderer vergleichbarer Industriestaaten würde ohne Massenmedien nicht funktionieren.
Die klassische Vorstellung von seriöser Berichterstattung besteht darin, dass Informationen und Meinungen durch die Redaktion erkennbar voneinander getrennt sind. Da aber den Zuschauer*innen die Quellen meist nicht bekannt und zugänglich sind und sie deren Seriosität nicht überprüfen können, müssen sie sich darauf verlassen, dass die entsprechenden Redaktionen bzw. Journalist*innen diese Recherche verlässlich übernehmen. Während im Internet jede Person Informationen oder Positionen veröffentlichen kann, deren Gehalt für die Nutzer*innen nur schwer überprüfbar ist, haben Journalist*innen in der seriösen Berichterstattung die Funktion des Gatekeepers, der auf Grundlage einer professionellen Recherche nur überprüfte Quellen verwendet. Dennoch unterliegen auch die seriöse Berichterstattung sowie Dokumentationen zuweilen Irrtümern. Dies kann dramatische und tragische Folgen haben.
Eines der bekanntesten Beispiele ist sicherlich die Behauptung des damaligen amerikanischen Außenministers Colin Powell vor dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen am 05. Februar 2003, der Irak würde über Massenvernichtungswaffen verfügen, womit bekanntlich der Irakkrieg als präventiver Verteidigungskrieg gerechtfertigt wurde. Powell hat inzwischen eingeräumt, bei seinem Auftritt gelogen zu haben. Während die europäischen Medien die angeblichen Beweise eher skeptisch bewerteten, folgten die amerikanischen Nachrichtensender und Printmedien wohl aus Patriotismus der Darstellung des Außenministers. Nur so konnte gegenüber der Bevölkerung das militärische Vorgehen im Irak gerechtfertigt werden. Hätten die amerikanischen Medien damals besser recherchiert und kritischer reagiert, wäre es womöglich nicht zum Irakkrieg gekommen.
Kinder und Jugendliche sollten deshalb so gut wie möglich über die Informationsbeschaffung, die Herstellungsbedingungen und die Fehlerquellen bei den Nachrichten und der Berichterstattung informiert werden. In einem Unterrichtsprojekt sollten sie selbst die Erfahrung machen, dass viele subjektive Aspekte bei der Produktion einer Zeitung oder einer Nachrichtensendung Einfluss auf die Auswahl der Themen und deren Anordnung innerhalb einer Sendung eine Rolle spielen. Es ist nachvollziehbar, dass man z.B. über politische Lager, denen man sich selbst zugehörig fühlt, lieber etwas Positives als etwas Negatives berichtet. Auch bei anscheinend „harten Fakten“ ist man also von einer angestrebten Objektivität weit entfernt. Die Vorstellung, Medien könnten ein einigermaßen zutreffendes Abbild der Wirklichkeit darstellen, ist eine Utopie. Das beginnt schon damit, dass über normale Ereignisse und Selbstverständlichkeiten in der Berichterstattung der Medien kaum etwas zu finden ist. Von Bedeutung ist das, was außergewöhnlich ist, was daneben geht, die Katastrophe, der Unfall, die Krise, der Normverstoß.
Medial vermittelte Inhalte haben zwar immer etwas mit der Wirklichkeit zu tun, sie sind aber nie ein Abbild derselben. Eine gewisse Skepsis und das Wissen darum, dass jede anscheinend noch so ernsthafte und seriöse Information oft einen weiten Weg durch viele Hände geht, die nicht immer ohne eigene Interessen handeln, scheinen angebracht. Dabei geht es natürlich auch darum, Anhaltspunkte zu identifizieren, nach denen man plausible Aussagen über den Realitätsgehalt machen kann.
In den letzten Jahren hat es viele Diskussionen und Kritik in Bezug auf sogenannte „Scripted-Reality-Formate“ gegeben. Dabei handelt es sich um Unterhaltungssendungen, die auf den ersten Blick wie abgefilmte Realität wirken, faktisch aber einem Drehbuch folgen. Die angeblich real beobachteten Personen sind also nicht die, für die sie sich ausgeben. Vor allem Dokumentarfilmer kritisieren solche Produktionsformen als „Pseudo-Dokus“ oder „Lügenfernsehen“, da sie eine Realität vorgaukeln, die so nicht existiert. Darüber, welche Wirkungen beliebte Formate wie „Familien im Brennpunkt“, „Die Schulermittler“, „Privatdetektive im Einsatz“, „X-Diaries“ oder „Berlin – Tag & Nacht“ tatsächlich entfalten, gibt es unter den Kritikern zwei sich widersprechende Positionen. Während die einen meinen, Erfundenes werde als etwas Dokumentarisches wahrgenommen, argumentieren die anderen, die Vermischung von Realität und Fiktion würde letztlich dazu führen, dass die Glaubwürdigkeit des Fernsehens insgesamt leidet.
Unabhängig von der Frage, welche Position man für die richtige hält, ist eines deutlich: Es ist wichtig, das Verhältnis von Wirklichkeit und ihrem scheinbaren Abbild, das die Medien bieten, einmal genau unter die Lupe zu nehmen. Das gilt nicht nur für Scripted-Reality-Formate, sondern auch für das Infotainment, also die Mischung von Information und Unterhaltung. Besonders aber müssen Nachrichten stetig auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft, in ihrer Relevanz eingeschätzt und ins Verhältnis zu anderen Informationen gesetzt werden. Ein wichtiges Ziel ist zudem, Nachrichten von anderen Informationsformaten und einseitiger Beeinflussung (z.B. rechts- oder linksextreme Propaganda, Islamismus, Parteienwerbung) unterscheiden zu lernen.
Zeitungen und Fernsehen gelten bei Jugendlichen als die vertrauenswürdigsten Medien bei der Berichterstattung.[2] Knapp die Hälfte der in der JIM-Studie befragten Jugendlichen sieht regelmäßig Fernsehnachrichten[3] – wobei die parallele Nutzung verschiedener Medien beachtet werden sollte.
Schon jüngere Kinder können durch spezielle Kinder-Nachrichtensendungen wie „logo!“ auf ZDF und KiKA und „neuneinhalb“ im Ersten an die Nutzung von Fernsehnachrichten herangeführt werden. Wesentlich für die jüngeren Nutzer*innen ist dabei, dass die Nachrichten verständlich sind und ein thematischer Lebensweltbezug erkennbar ist.[4] Wichtig ist auch die einordnende Begleitung durch Erwachsene (z.B. Lehrer*innen und Eltern), die Kinder dabei unterstützt, die Entschlüsselung und emotionale Verarbeitung der Botschaften zu erlernen bzw. auszuprägen. Gerade die von älteren Kindern als „real“ zu bewertenden Nachrichten können in diesem Zusammenhang zu „Besorgnis oder Angst“ führen.[5]
Die Relevanz für die medienkundliche Beschäftigung mit Nachrichtensendungen ergibt sich nicht nur aus der Notwendigkeit des „Bescheid-Wissens“ über gesellschaftliche Ereignisse, die das eigene Leben (mit-)bestimmen und über die sowohl in den Medien als auch im eigenen persönlichen Umfeld kommuniziert wird. Sie resultiert ebenso aus der Tatsache, dass dieses „Bescheid-Wissen“ – also das Informiertsein über aktuelle Ereignisse – offenbar in allen Altersgruppen latent in Gefahr ist und im Zuge einer sich immer stärker individualisierenden Informationsbeschaffung abnimmt. Das Fernsehen mit seinen Nachrichtensendungen nimmt in dieser Entwicklung nach wie vor eine zentrale Stelle ein. In einer aktuellen Studie zur „Nutzung und Qualität von Nachrichtenmedien im Altersvergleich“ gab „nur jeder zweite Deutsche an, von den beiden jeweils wichtigsten Nachrichtenereignissen des Vortages gehört zu haben. Dabei interessierten sich die jungen Altersgruppen deutlich weniger für die aktuelle Nachrichtenlage als die erwachsenen Befragten. Nur 39 Prozent der Jugendlichen und 50 Prozent der jungen Erwachsenen haben von beiden Nachrichtenereignissen gehört. […] Während sich nur sieben Prozent der 14- bis 17-Jährigen aktiv über die jeweiligen Themen informiert hatten, waren es unter den Erwachsenen immerhin 26 Prozent. […] Über alle Altersgruppen hinweg diente dabei das Fernsehen als primäre Informationsquelle.“[6]
[1] vgl. Eimeren 2015
[2] vgl. MPFS 2014, S. 15
[3] vgl. MPFS 2011, S. 24
[4] vgl. hierzu z.B. Aufenanger et al. 2006
[5] Orde 2011, S. 54
[6] Donsbach 2012, S. 2 (Hervorhebung im Text)