Die Unterrichtseinheiten zum Themenbereich „Jugendmedienschutz“ verfolgen das Ziel, Schüler*innen in die Regelungen, Funktionsweise und Praxis des Jugendmedienschutzes in Deutschland einzuführen und dabei einen kritisch-reflektierten und selbstbestimmten Umgang mit Medien zu fördern. Der Schwerpunkt liegt auf der Mediennutzung, die im Alltag von Jugendlichen eine besondere Bedeutung hat. Neben der Vermittlung von Grundlagenwissen und vertiefenden Kenntnissen sollen die Heranwachsenden dazu angeregt werden, ihre eigenen Medienerfahrungen zu reflektieren und sich die Regelungen des Jugendmedienschutzes beim eigenen aktiven Medienhandeln zu vergegenwärtigen. Nicht zuletzt geht es darum, bei der Kernzielgruppe des Jugendmedienschutzes auch um Verständnis für die oft als Beschränkung empfundenen Maßnahmen zu werben. Das Unterrichtsmaterial ist für Schüler*innen ab Klassenstufe 8 geeignet, da ein gewisses Abstraktionsvermögen vorausgesetzt werden muss.
Schon wenige Jahre nach den ersten öffentlichen Filmvorführungen herrschte in der Öffentlichkeit die Befürchtung, Bewegtbilder seien mit ihren Darstellungen so nah an der Realität, dass vor allem junge Zuschauer*innen das Erlebte zumindest während der Vorführung für echt hielten. Darin sah man eine starke Einflussnahme auf das Gefühlsleben und das Meinungsbild der jungen Generation. Als zum ersten Mal in einem Spielfilm offen für die Abschaffung des Verbots homosexueller Handlungen geworben wurde („Anders als die Anderen“, Regie: Richard Oswald, Deutschland 1919), prognostizierten konservative Kreise durch dieses neue Medium einen zunehmenden Verfall der Sitten. Bereits 1920 trat das erste Reichslichtspielgesetz in Kraft. Daraufhin wurden in Berlin und München Filmprüfstellen eingerichtet, die darüber entschieden, welche Filme für die öffentliche Vorführung freigegeben oder verboten sind. 1934 verschärften die Nationalsozialisten das Gesetz, indem sie Stoffe verboten, die „dem Geist der Zeit“ zuwiderliefen und „das nationalsozialistische und künstlerische Empfinden“ verletzten. Damit begann der Prozess der Verstaatlichung der Filmindustrie. Die Gleichschaltung von Staat und Medien war ein entscheidender Schritt zur Sicherung der nationalsozialistischen Macht.
Vor diesem Hintergrund setzt unser Grundgesetz ein Zeichen und garantiert den Medien in Art. 5 eine sehr weitgehende Meinungs- und Informationsfreiheit. „Eine Zensur findet nicht statt“, heißt es am Ende des ersten Absatzes. Diese Freiheit findet allerdings in Art. 5 Abs. 2 ihre Grenzen „in den allgemeinen Gesetzen, insbesondere in den Gesetzen zum Schutze der Jugend.“ Damit hat auch der Jugendschutz Verfassungsrang, so dass der Staat nicht ohne weiteres darauf verzichten darf. Inhaltlich wird er aus Art. 2, dem Recht auf Entfaltung der eigenen Persönlichkeit und dem Recht auf körperliche Unversehrtheit, sowie aus Art. 6, dem Schutz von Ehe und Familie, abgeleitet. Vor allem die Aspekte aus Art. 2 bilden den Schwerpunkt der meisten Regelungen und Debatten des Jugendschutzes: Kinder und Jugendliche sollen vor beeinträchtigenden und gefährdenden Einflüssen geschützt werden, damit sie sich eigenständig und frei entwickeln können. Entsprechende Regelungen finden sich im Jugendschutzgesetz. Während im gesellschaftlichen Umfeld z.B. der Schutz vor Suchtgefahren (Alkohol und Zigaretten) im Fokus steht, belegt der gesetzliche Jugendschutz bestimmte Medieninhalte mit Vertriebsbeschränkungen. Dabei geht es vor allem um die Konfrontation mit der Legitimation von Gewalt als Mittel der Konfliktlösung oder einseitig auf den sexuellen Lustgewinn reduzierte Darstellungen. Ziel ist es, entsprechende Inhalte zwar für Erwachsene zugänglich zu halten, sie aber Kindern und Jugendlichen, differenziert nach Altersstufen, vorzuenthalten.
Der Gesetzgeber wird grundsätzlich durch einen gesellschaftlichen Konsens in der Auffassung bestätigt, dass bestimmte Inhalte Kinder und Jugendliche in ihrer Entwicklung in negativem Sinne beeinträchtigen oder schädigen könnten. Was allerdings als schädlich angesehen wird, entwickelt sich in Abhängigkeit von einem ständigen gesellschaftlichen Wertewandel. Was beispielsweise noch vor fünfzig, zwanzig oder zehn Jahren als nicht hinnehmbar galt, kann inzwischen gesellschaftlich akzeptiert sein. Den Film „Anders als die andern“, der 1920 ganz entscheidend zur Verabschiedung des ersten Reichslichtspielgesetzes beigetragen hat, hält heute wohl niemand mehr für problematisch.
Die Schutzmechanismen der Jugendschutzgesetze variieren abhängig von der Drastik der Inhalte und der Verbreitungsform des Mediums. Als besonders sozialschädlich eingeschätzte Darstellungen werden medienübergreifend bereits durch das Strafgesetzbuch ganz oder für Kinder und Jugendliche verboten. So unterliegt die Herstellung und Verbreitung von Darstellungen, die den Einsatz von Gewalt verherrlichen, verharmlosen oder in der Art und Weise der Darstellung gegen die Menschenwürde verstoßen, einem Totalverbot. Die sog. „einfache“ Pornografie unterliegt zahlreichen Vertriebsbeschränkungen, die verhindern sollen, dass Kinder und Jugendliche damit in Kontakt kommen. Pornografische Darstellungen mit Kindern, mit Tieren und mit Gewalt sind hingegen völlig verboten.
DVDs und Computerspiele dürfen nach dem Jugendschutzgesetz nur an Erwachsene abgegeben werden, es sei denn, sie verfügen über eine Altersfreigabe. Da sich im Fernsehbereich und im Internet Altersfreigaben nicht kontrollieren lassen, setzt der für diesen Bereich gültige Jugendmedienschutz-Staatsvertrag darauf, dass Inhalte mit einer Freigabe ab 16 Jahren im Fernsehen und im Internet nur in der Zeit zwischen 22 Uhr abends und 6 Uhr morgens, solche ohne Jugendfreigabe (ab 18 Jahren) nur in der Zeit zwischen 23 Uhr abends und 6 Uhr morgens zugänglich gemacht werden dürfen. Im Internet hat der Anbieter alternativ die Möglichkeit, sein Angebot mit einer technischen Hürde bzw. einer durch Schutzsoftware auslesbaren Altersstufe zu versehen, um dem Gesetz nachzukommen.
Auch Printmedien wie z.B. Bücher können aus Jugendschutzgründen in ihrer Verbreitung beschränkt werden, jedoch ist das gesetzliche Instrumentarium hier weit weniger vielfältig. Ein Grund dafür liegt wohl darin, dass die Wirkungsmacht von audiovisuellen Medien höher eingeschätzt wird als die von Printmedien. Auch für Printmedien gelten die Beschränkungen des Strafrechts, außerdem können sie auf die „Liste der jugendgefährdenden Medien“ gesetzt werden (Indizierung). Neben Printmedien können Kinofilme und DVDs sowie Computerspiele und Angebote im Internet indiziert werden, wenn sie als jugendgefährdend angesehen werden. Indizierte Inhalte dürfen Kindern und Jugendlichen nicht zugänglich gemacht werden, sie dürfen nicht beworben und nicht im Fernsehen gezeigt werden. Im Internet dürfen sie Erwachsenen nur in geschlossenen Benutzergruppen mithilfe eines Altersverifikationssystems zugänglich gemacht werden.
Der von seiner Zeit geprägte Jugendmedienschutz zielt also darauf ab, negative Auswirkungen durch Medien auf Kinder und Jugendliche zu verhindern oder zumindest zu minimieren. Gerade die digitalen Medien haben zur Folge, dass die Mediennutzung in jüngster Zeit immer neue Formen annimmt und sich schnell entwickelt und verändert. Neben Printmedien, TV und Radio sind Soziale Netzwerke sowie andere Internetangebote getreten, die zu Hause oder mobil genutzt werden. Die dahinterliegende technische Struktur, die dezentral und international organisiert ist, macht es noch schwieriger als bisher, Kontrolle auszuüben. Dies stellt den beschriebenen Anspruch auf einen möglichst umfassenden Schutz vor große Herausforderungen. Auch deshalb beinhaltet moderner Jugendmedienschutz nicht nur die gesetzliche Dimension, sondern bezieht einen gewissen Kontrollverlust mit ein. Neue Ansätze geben den Schutzanspruch auch im Hinblick auf die als notwendig erachtete Signalwirkung nicht auf, jedoch geht es hierbei nicht mehr nur um Kontrolle, sondern auch um Risikominimierung. Zudem wird das Schaffen von Kompetenz im reflektierten und sicheren Umgang mit Medien bei den Kindern und Jugendlichen selbst gefordert und gefördert.
Die Nutzung von Medien durch Kinder und Jugendliche bringt traditionell die Debatte mit sich, ab welchem Alter welche Inhalte „unschädlich“ sind. Diese Debatte hat viele Facetten und entwickelt sich stetig weiter. Sie existiert bei Fernsehsendungen, Computerspielen und Internetseiten in unterschiedlichen Ausprägungen, sowohl abhängig vom Verbreitungsweg als auch von neuen Sendeformaten. Dieser anhaltende gesellschaftliche Diskurs erhält dadurch ständig neue Impulse. Während es noch vor einigen Jahren Spielfilme oder Serien waren, die durch Darstellungen von Gewalt oder Sexualität im Fokus des Jugendschutzes standen, geht es heute z.B. stärker um die Frage, wie ehrlich oder gar beleidigend die Jury einer Castingshow mit schwachen Kandidaten umgehen darf oder welche Rollenbilder, Geschlechterstereotypen und Schönheitsideale in Comedy-Serien und Reality-TV vermittelt werden.
Zu den Themen der klassischen Mediennutzung ist in den letzten Dekaden die Internetnutzung von Kindern und Jugendlichen hinzugetreten. Durch Möglichkeiten der Kommunikation der Nutzer_innen untereinander erhält die Mediennutzung eine weitere Dimension. Die vom Medienpädagogischen Forschungsverbund Südwest herausgegebene KIM-Studie 2014 zeigt, dass bereits mit Schuleintritt viele Kinder regelmäßig kommunikative Onlinedienste nutzen, mehr und mehr auch über mobile Geräte wie Smartphones. 14% der befragten Kinder im Alter zwischen 6 und 13 Jahren stießen dabei auch auf Inhalte, die von den Befragten selbst als ungeeignet für ihre Altersgruppe empfunden wurden. 6% stießen auf Inhalte, die ihnen unangenehm waren und 4% auf solche, die ihnen Angst machten.[1]
Neben den Konfrontationsrisiken mit den o.g. Inhalten sind Kontaktrisiken ein weiterer Aspekt der Kommunikationsmöglichkeiten im Internet bzw. mit mobilen Geräten. Durch die partizipativen Möglichkeiten der Onlinedienste werden Kinder und Jugendliche zudem in die Lage versetzt, eigene Inhalte zu veröffentlichen und mit Dritten zu kommunizieren. Dies kann dann zum Problem werden, wenn Informationen über Social-Web-Plattformen und Apps der breiten Öffentlichkeit preisgegeben werden, die für die betroffenen Minderjährigen sensibel sind, etwa private Kontaktdaten, standortbezogene Informationen oder freizügige Bilder. Kontaktrisiken können nicht nur in Sozialen Netzwerken auftreten, sondern überall dort, wo Menschen via mediengestützter Formen miteinander kommunizieren. Durch Anrufe, Chats und Instant Messenger kann das Kind oder der Jugendliche Kontakt zu fremden Personen bekommen. Dies ist insofern problematisch, als dass in einem Chat jeder die Möglichkeit hat, sich anonym bzw. unter Vorspiegelung einer anderen Identität mit den anderen auszutauschen. Potentielle Straftäter_innen könnten so versuchen, persönliche Details herauszubekommen und Kontakt zu dem Kind oder dem Jugendlichen aufzunehmen. Dies nennt man Grooming.
Gerade vor dem Hintergrund der bereits angesprochenen Tatsache, dass die Vielfalt und Konvergenz der Kommunikationskanäle und Nutzungsformen eine Kontrolle zunehmend unmöglich macht, wird der Vermittlung eines reflektierten und bewussten Umgangs mit den Medien große Bedeutung beigemessen. Dazu zählt nicht nur die Sensibilisierung für Darstellungen, die nach den gegenwärtigen Wertmaßstäben als problematisch gelten, sondern auch ein grundlegendes Verständnis für Funktionsweisen. Für einen reflektierten Umgang bei der Preisgabe eigener Daten ist das Wissen notwendig, dass Daten im Onlinebereich in der Regel frei kopierbar sind und sich damit oft nicht mehr entfernen lassen.
[1] vgl. MPFS 2014a, S. 39
>> ergänzende Literaturhinweise und unterstützende Materialien